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In unserer Reihe „Neues vom SpieltischRand“, widmen wir uns heute wieder einem ganz besonderen und absolut (un-)entbehrlichen Spieler-Typus. Dem Tracker beziehungsweise der Trackerin. Auch diese sitzen meist mit uns am SpieltischRand und sind deutlich zu erkennen an dem erhobenen Zeigefinger oder dem Ruf „Haaalt, Stopp! Punkte? Punkte?“. Da sich hier das Männchen und das Weibchen nur in äußerlichen Details unterscheiden, betrachten wir der Einfachheit halber bei dieser Spezies nachfolgend das Männchen.
Der Tracker (Ludus statisticus boardgamegekus / ugs.a.: „Träkker“)
Bevor wir anfangen, hier noch ein kurzer Warnhinweis. Es besteht eine akute Verwechselungsgefahr!
Bitte nicht den „Tracker“ (Träkker/Trägger) verwechseln mit einem „Trecker“ (Traktor). Ein „Trecker“ wird im Gegensatz zum „Tracker“ nicht zum archivieren von Spielergebnissen, sondern ausschließlich zum Ziehen und zum Antrieb landwirtschaftlicher Maschinen genutzt. Zuverlässig unterscheiden lassen sich die beiden am Geräusch. Macht es „brumm brumm“, ist’s ein Trecker. Macht es „Punkte, Punkte“, ist’s ein Tracker.
OK, schnell zurück zum „Tracker“. Schauen wir uns diesen Vertreter des Homo Ludens jetzt einmal genauer an. Dafür starten wir mit einem kleinen Ausflug in die Wissenschaft, damit wir eine exakte Einordnung durchführen können. Schließlich geht es immer auch darum, sauber zu recherchieren.
Bereits beim Blick auf seine Herkunft in der Systematik wird klar, es handelt sich bei einem Tracker oder Punkte-Tracker im Wesentlichen um jemanden wie Du und Ich, oder besser gesagt, um Dich.
Systematik:
Ordnung: Menschenartige (Hominoidea)
Überfamilie: Menschenaffen (Hominidae)
Familie: Mensch (Homo sapiens)
Unterfamilie: Spieler (Homo ludens)
Gattung: Brettspieler (Tabula ludio)
Art: Tracker (Ludus statisticus boardgamegekus)
Erscheinungsbild
Betrachten wir den Tracker in seinem natürlichen Habitat, so offenbart sich uns ein faszinierendes, jedoch nur in Nuancen außergewöhnliches Erscheinungsbild. In der Grundform gleichen das Männchen und das Weibchen zweifellos der archetypischen Gestalt eines Menschen: aufrecht mit zwei Beinen, zwei Armen, einem Rücken und einer Frontalpartie, die entweder als Bauch oder, seltener, als athletisches Sixpack ausgeprägt ist. Der Kopf, jener Sitz der höheren Funktionen, thront leicht abgesetzt auf dem Hals, wobei diese Trennung rein optischer Natur ist – die Verbindung bleibt selbstverständlich intakt.
Das Gesicht des Trackers zeigt je nach Individuum kleine, aber signifikante Unterschiede. Die Augen, die mit kreisrunden Pupillen ausgestattet sind, reagieren präzise auf das einfallende Licht. Nicht selten wird dieses Licht durch ein sogenanntes „Nasenfahrrad“ – im Volksmund Brille genannt – kunstvoll gebrochen. Dies verleiht dem Tracker bisweilen einen intellektuellen Ausdruck. Die Nase, von der Natur in einem variablen Spektrum von Formen und Größen ausgestaltet, verjüngt sich zur Spitze hin und birgt in ihren runden Nasenlöchern ein bemerkenswertes Detail: gelegentlich ein keratinhaltiges Fadenwerk, das offenbar zur Filterung von Schleim oder Speiseresten dient.
Im Antlitz zeigt sich beim Männchen zudem eine mannigfaltige Behaarung, die von üppig bis vollständig kahl variiert. Solche Unterschiede sind nicht nur faszinierend, sondern auch von taxonomischer Relevanz, da sie auf mögliche Unterarten hinweisen könnten. Doch der Tracker ist nicht allein durch sein Gesicht zu identifizieren.
Seine oberen Gliedmaßen sind von beachtlicher Länge, ein Merkmal, das den Tracker zu einem geschickten Nutzer seines natürlichen Werkzeugs macht: den Händen. Jede Hand endet in fünf Fingern, wobei besonders die beiden Daumen ins Auge fallen. Diese opponierbaren Glieder, ein evolutionäres Meisterwerk, nutzt der Tracker vor allem für eine auffällige Tätigkeit: Nach jeder Partie verfassen sie mithilfe eines mobilen Endgeräts kryptische Zeichen in Tabellen. Dieses Verhalten, das wissenschaftlich als „Partieanalyse“ bezeichnet werden könnte, ist ein nahezu unverkennbares Merkmal seiner Art.
Die unteren Gliedmaßen, länger als die oberen, sind in erster Linie der Fortbewegung gewidmet. Während des Brettspiels selbst nehmen sie nur eine sekundäre Rolle ein – mit einer bemerkenswerten Ausnahme. Am Ende des Fortbewegungsapparates finden wir die Zehen, jene kleinen, oft übersehenen Anhängsel. Besonders der jeweils äußere Zeh, umgangssprachlich als „kleiner Zeh“ oder auch „Aua!“ bekannt, hat eine durchaus beachtenswerte Funktion: Er agiert als Puffer zwischen dem Tracker und den festen Hindernissen seiner Umgebung, wie beispielsweise den Beinen von Brettspieltischen oder den Kanten von Sofas. Über weitere mögliche Nutzen oder Funktionen dieser kleinen Gliedmaßen gibt es bislang keine gesicherten Erkenntnisse.
So steht der Tracker vor uns – ein Wesen, dessen scheinbar einfache Erscheinung beim genaueren Hinsehen zahlreiche Eigenheiten offenbart. Wer ihm mit Geduld und Achtsamkeit begegnet, wird nicht nur seine äußeren, sondern auch seine inneren Besonderheiten entdecken, die so viel über die Vielfalt und die Anpassungsfähigkeit der menschlichen Natur verraten.
Lebensraum
Der Lebensraum des Trackers ist weitestgehend auf den Spieltisch begrenzt, jenes symbolische Ökosystem, in dem seine Existenz und seine Interaktionen ihren Höhepunkt finden. Hier trifft er nicht nur auf Artgenossen, sondern auch auf eine Vielzahl von natürlichen Feinden. Unter diesen sind nicht nur die gewöhnlichen Spieler zu nennen, sondern auch Spezies wie der „Denker“ oder der „Regelerklärer“, die wir bereits in anderen Kontexten näher betrachtet haben. Diese können dem Tracker in seinem Tun hinderlich sein, wobei er gegen solche Störungen meist mit Geduld und unaufdringlicher Präsenz reagiert. Besonders resistent zeigt sich der Tracker jedoch gegenüber Phänomenen wie „Hausregeln“ und den „Wir spielen nur zum Spaß Spieler“, die versuchen, die Spielwelt mit überflüssigen Interferenzen zu belasten.
Der wahre Erzfeind des Trackers ist jedoch der „Revisor“, jener unerbittliche Kritiker, der oftmals das Werk des Trackers zunichtemacht, indem er Fehler aufdeckt und Korrekturen verlangt. In solchen Momenten wird der Tracker gezwungen, erneut seiner eigentlichen Bestimmung nachzugehen: dem Tracking. Doch innerhalb seines Lebensraums, dem Spieltisch, fühlt sich der Tracker sicher und unverzichtbar. Hier entfaltet er seine ganze Bedeutung. Erst wenn er gezwungen ist, diesen geschützten Raum zu verlassen, tritt eine gewisse Verwundbarkeit zutage.
Das Verhalten gegenüber seinen Artgenossen ist, trotz der Tatsache, dass der Tracker kein Alpha-Tier ist, in der Regel von einer bemerkenswerten Friedfertigkeit geprägt. Diese Zurückhaltung lässt sich darauf zurückführen, dass der Tracker, solange das Spiel in vollem Gange ist, in seiner Rolle meist unauffällig bleibt. Die Annahme, dass ohne ihn das Spiel nicht weitergehen würde, ist jedoch eine Täuschung. Der Tracker ist sich dieser Wahrheit durchaus bewusst, handelt jedoch im Sinne des sozialen Friedens und lässt sich häufig mit den benötigten Informationen füttern. Infolgedessen ist er ein gern gesehener und geselliger Mitspieler, der das Spiel um eine wertvolle Dimension bereichert, ohne die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Beuteschema
Das Beuteschema des Trackers ist ein faszinierendes, fast schon monoton anmutendes Phänomen. Er zeigt sich in seinen Vorlieben wählerisch, jedoch nicht in einem Maße, das ihn zu einem Feinschmecker machen würde. Vielmehr richtet sich sein Interesse auf die nüchternen, abstrahierten Elemente des Spiels – auf Buchstaben und Zahlen. Diese jagt er mit unermüdlicher Zielstrebigkeit und hämmert sie in sein Smartphone, als ob es seine natürliche Beute wäre. In einer für den Tracker typischen Jagdsituation kann es sogar vorkommen, dass er kurze Kartenspiel-Partien während seiner natürlichen Bedürfnisse verschlingt, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren.
Besonders beeindruckend ist die Fähigkeit mancher Exemplare des Trackers, Spiele zu erfassen, die keinerlei Punkte kennen, sondern einzig auf den Sieger fokussiert sind. Diese Fähigkeit, blitzschnell zu verstehen und sich anzupassen, deutet auf eine bemerkenswerte Intelligenz hin. Doch es sind vor allem Spiele, die eindeutige Wertungsmechanismen besitzen, die das Herz des Trackers höher schlagen lassen. Spiele, bei denen präzise, unverwechselbare Punkte oder Spielstände gesammelt werden, ziehen ihn magisch an. Um solchen Beutestücken habhaft zu werden, legt sich der Tracker auch mal stundenlang auf die Lauer, geduldig wartend, bis der richtige Moment für die Jagd gekommen ist.
Was aber, wenn es in einem Spiel keine Punkte zu ergattern gibt? Oder gar kooperativ gespielt wird, also ohne realen Kontrahenten?
In solch einem Fall stürzt der Tracker in eine selbstverletzende Spirale des Unwohlseins, deren Schwere dem Absturz eines verlorenen Satelliten in die trostlose Leere des Weltalls nicht unähnlich ist. Es kommt nicht selten vor, dass der Tracker sich in solchen Momenten fühlt wie ein gestrandeter Marsbewohner – verloren, ohne Rückfahrschein, ohne gültige Reiseversicherung und ohne die geringste Ahnung, wie er den Rückweg finden könnte. Die vertrauten Elemente seines Lebensraums – die Punkte, die Zahlen, das klare Wertungssystem – verschwimmen zu einem undefinierbaren Nichts, einem Individuum non grata im Spielekosmos. Der Weg zurück in eine intakte Umwelt scheint unerreichbar, eine ferne, fast mythische Sphäre. Doch dann, wie aus dem Nichts, wirft ein Mitspieler dem Tracker das, was ihm im Moment am meisten fehlt: Zahlen und Bratwürmer – die ultimativen Nahrungsmittel für den Tracker. In diesem Augenblick findet der Tracker zurück zu sich selbst. Die Welt ist wieder in Ordnung, der Tracker atmet auf und kehrt unaufgefordert zur Jagd nach den ersehnten Zahlen zurück.
Wissenschaftliches zum Tracker
Nach dieser kurzen, aber prägnanten Betrachtung des Beuteschemas wenden wir uns einem weiteren interessanten Aspekt zu, der den Tracker in seinem natürlichen Verhalten prägt. Doch bevor wir zu den praktischen Aspekten übergehen, werfen wir noch einen kurzen Blick in die wissenschaftliche Betrachtung des Verhaltens des Trackers. Hier müssen wir uns zunächst der grundlegenden Frage zuwenden: Wie bereitet sich ein Tracker auf ein Spiel vor?
> Recherche
Der Tracker selbst beschreibt seinen Vorbereitungsprozess häufig als eine „perfekte Vorbereitung“. Dieser Begriff ist in seinem natürlichen Vokabular fest verankert, denn die sorgfältige Sammlung von Informationen stellt einen wesentlichen Bestandteil seines Überlebens- und Spielstrategiesystems dar. Der Tracker fühlt sich erst dann wirklich bereit, wenn es ihm gelungen ist, vor einem Spieleabend nicht nur die Liste der Spiele, die auf den Tisch kommen, zu entschlüsseln, sondern auch die Namen der Mitspieler zu erfahren. Diese strategische Informationsbeschaffung stellt sicher, dass der Tracker in seiner natürlichen Umgebung bestens gerüstet ist.
> Planung
Nach der Recherche folgt die präzise Planung. Der Tracker begibt sich dann auf die digitale Jagd, indem er überprüft, ob die erwarteten Spiele in seiner „Tracking-App“ verfügbar sind. Diese App, ein unverzichtbares Werkzeug des modernen Trackers, dient dazu, alles zu verwalten und festzuhalten. Gegebenenfalls werden bereits die Namen der Mitspielenden in die App eingetragen. Dies ermöglicht eine zusätzliche, strategische Bereicherung: den Einsatz einer „Startspieler-App“. Diese App hilft, den ewigen Streit um den Beginn der Partie zu vermeiden, indem sie das monotone Ritual des „der Jüngste beginnt“ elegant umgeht und stattdessen den Startspieler effizient und gerecht bestimmt.
> Durchführung
Sobald eine Partie beendet ist, erwacht der Tracker in seiner vollen Form. Sein gesamtes Augenmerk richtet sich auf die wertvolle Auswertung der gewonnenen Informationen. An diesem Punkt erreicht seine Aufmerksamkeit einen Höhepunkt, und er wird lautstark in seiner Umgebung wahrgenommen. Es schallt der bekannte Ruf: „Punkte? Punkte?“ Durch das Habitat, als ob dieser Ruf das Erreichen des Jagdterrors symbolisieren würde. In diesem Moment, der mit einer beeindruckenden Präzision und Schnelligkeit durchgeführt wird, fliegen die Finger des Trackers über die Tastatur und beginnen mit der Erfassung aller relevanten Daten. Was wurde gespielt? Wer hat gespielt? Wann und wo wurde gespielt? Und zu guter Letzt: Wer hat wie viele Punkte erreicht? Alle diese Informationen landen in einer globalen Datenbank, die die Jagd des Trackers dokumentiert und seine Existenz innerhalb des digitalen Lebensraums festhält.
So bleibt der Tracker stets am Puls der Zeit und sorgt dafür, dass sein Habitat – das weite und komplexe Feld der Spiele und Datenbanken – kontinuierlich mit neuen, akkuraten Informationen gefüttert wird.
Fazit
Ja, der Tracker hat es wahrlich nicht leicht. Auf der einen Seite gibt es jene, die von ihm eine präzise und umfassende Dokumentation der Spiele und Ergebnisse erwarten, auf der anderen Seite stehen diejenigen, die für sich keinerlei Nutzen aus seinen Bemühungen ziehen möchten. Es ist ein ständiger Balanceakt zwischen den Anforderungen der einen und der Enttäuschung der anderen.
Doch auch wenn nicht alle Aussagen in dieser Betrachtung ganz so ernst gemeint sind, so können wir doch mit Sicherheit festhalten, dass der „Tracker“ (manchmal auch als „Trägger“ bezeichnet) im Kern ein gutmütiger und harmloser Mitspieler ist. Er ist weder Feind noch Trophäe, sondern vielmehr ein unauffälliger, aber unverzichtbarer Teil des Spiels – stets bemüht, das Spiel zu bereichern, ohne dabei die Freude der anderen zu schmälern.
So ist der Tracker, trotz seiner eigenwilligen Vorlieben und seines unermüdlichen Strebens nach Punktesammlungen, letztlich ein wesentlicher Bestandteil jeder Spielgemeinschaft – freundlich, hilfsbereit und immer mit einem Auge auf die nächste Partie gerichtet.
Zum Abschluss noch ein wertvoller Ratschlag für alle Tracker, also von Getracktem zu Trackenden: Lasst ab und zu auch Eure Mitspieler gewinnen. Diese Geste, so unauffällig sie erscheinen mag, stellt sicher, dass die Mitspieler weiterhin motiviert sind und somit auch morgen wieder bereitwillig an den Tisch treten. Selbst in der Welt des Trackers ist der langfristige Erhalt sozialer Bindungen genauso wichtig wie die präzise Erfassung von Punkten und Daten.
In diesem Sinne: Danke, dass Sie bis zum Ende gelesen haben. Und denken Sie daran – am Ende geht es nicht nur um die Zahlen und das Tracking. Wir wollen doch alle nur eines: spielen.
Danksagung
Für die hilfreiche, teils wissenschaftliche Unterstützung und Inspiration, möchte ich mich recht herzlich bedanken bei:
Prof. Dr. Bernhard Klemens Maria Hofbauer Pius Grzimek, ChatGPT
Diese nicht ganz ernst gemeinte Vorstellung eines Spieler-Typus erscheint im Rahmen unserer Serie „Neues vom SpieltischRand“. Für weitere Folgen suchen wir immer Ideen.
Der Einfachheit halber, verwende ich die maskuline Schreibweise in meinen Texten. Wenn ich von „Spieler“ schreibe, meine ich natürlich immer auch „Spielerinnen“ bzw. „Spieler m/w/d“
In der Reihe „Neues vom SpieltischRand“ sind bereits erschienen
© Oliver Sack, 22.01.2025 – Titelbild CC0 Pixabay – Alle Rechte vorbehalten. – Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung.
Lieber Oli,
ich als Trackerin muss noch erwähnen, dass der/die Trackerin in der App auch noch Fotos zu den jeweiligen Spielen hinzufügen kann, um die einzelnen Partien im Gedächtnis behalten zu können!
Desweiteren freue ich mich an den Statistiken jeden Monat, was ich alles gespielt habe!
Es freut mich, dass du weiterhin motiviert bleibst, mit mir zu spielen.