Brettflüchtling

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In unserer Reihe „Neues vom SpieltischRand“, berichten wir heute einmal mehr aus der faszinierenden Welt der Brettspiel-Typen. Unser Interesse gilt diesmal dem „Brettflüchtling“. Nein, auch er ist nicht vom Aussterben bedroht und jeder hat bestimmt schon einmal ein Exemplar gesehen oder wahrgenommen. Entweder am Tisch oder im Spiegel. Das Besondere an diesem Typus ist, dass er völlig unscheinbar ist und sich für keinen Mitspieler zu erkennen gibt. Es gibt absolut Null Indizien, die ihn verraten könnten. Saboteur- oder Camouflage-Duft-Spieler wird er deshalb umgangssprachlich auch gerne genannt.

Doch wie kann man ihn erkennen, den Brettflüchtling? Was tut er? Wie äußerst er sich in seinem Verhalten? – nun, wie gesagt, solange er im Verborgenen agiert, ist er so gut wie gar nicht zu identifizieren. Erst wenn er seinem Namen wie aus heiterem Himmel alle Ehren macht. Doch dann ist es meist zu spät.

Stellen wir uns vor, wir sitzen gemütlich mit unseren Mitspielern am Tisch und spielen eine schöne Runde „Great Western Trail“ oder „Pandemic Legacy“. Alles läuft harmonisch, jeder weiß was er wann zu tun hat und wann er an der Reihe ist. Dann plötzlich der unverwechselbare, bedrohlich wirkende Ausruf: „Moment im muss schnell mal raus!“ – „Waaaas!? Jetzt? Du bist dran!“ – „Ja jetzt! Ich muss mal… Sorry“ – und schon ist er weg. Was bleibt, ist ein unsichtbarer, mitunter wahrnehmbarer Kondensstreifen. Fluchtartig hat der Brettflüchtling seinen Platz verlassen und ist aus allen Blickfeldern verschwunden. Jetzt heißt es warten. Warten auf? Auf die Rückkehr des Brettflüchtlings. Das kann je nach Arte seiner angestrebten Sekundärbeschäftigung mitunter lange, sehr lange dauern. (Hoffentlich lüftet er auch!)

Na, wer hat jetzt, genau in diesem Moment jemanden vor Augen? Bitte zutreffendes ankreuzen und ggf. ausfüllen.

O ich verweigere die Aussage

O ich kenne jemanden und zwar der/die: __________________________ (Name leserlich eintragen)

Ein weiterer Ausflug in die Anthropologie soll uns jetzt eine bessere Einordnung innerhalb der verspielten Kultur des Homo sapiens ermöglichen, um dem Brettflüchtling seinen schlechten Ruf zu bestätigen. Schließlich haben wir hier einen Bildungsauftrag zu erfüllen. Auch wollen wir unser Wissen nicht für uns behalten.

Der Brettflüchtling (Homo ludens fugere)

Auch er fügt sich nahtlos in die Evolutionskette des spielenden Menschen ein. Auch ein Blick in den Spiegel lässt dabei erkennen, der Brettflüchtling ist eigentlich so wie … du und ich.

Gefährlich wird er nur, wenn er in Personalunion mit andern Typen wie zum Beispiel dem „Denker“ auftritt. Völlig ungefährlich hingegen in Kombination mit dem Passiv-Spieler. Letztere Kombination wird auch gar nicht weiter auffällig.

Systematik:

Ordnung:  Menschenartige (Hominoidea)

Überfamilie:  Menschenaffen (Hominidae)

Familie:  Mensch (Homo sapiens)

Unterfamilie:  Spieler (Homo ludens)

Gattung:  Brettspieler (Tabula ludio)

Art:  Brettflüchtling (Homo ludens fugere)

Aussehen

Betrachten wir sein Erscheinungsbild, gibt es keine markanten Merkmale, die den Brettflüchtling von anderen Vertretern der Gattung „Brettspieler“ unterscheiden würde. Deutlich zu erkennen ist er hingegen an anderen, meist optischen, olfaktorischen oder auch akustischen Signalen.

Zu den optischen Signalen gehört in der Regel und auch sonst ein nervöses Hin und Her rutschen auf der Sitzgelegenheit. Entweder ist dann diese Sitzgelegenheit sehr unbequem, oder es herrscht ein innerer Druck, der sehr schnell gesenkt werden möchte.

Über die zweite Art Signal, dem olfaktorischen, möchte ich hier im Detail jedoch nicht eingehen. Nur so viel: Olfaktorische Signale folgen meist etwas zeitverzögert auf besondere akustische Signale, deren Herkunft sich meist tief im Inneren des Individuums befindet.

Die dritte Signalart, das akustische, kann auch ohne ein nachfolgendes olfaktorisches Signal auftreten. Dann entsteht dieses Signal meist in Gehirn und im Bereich des Kehlkopfs zusammen mit einer Art Balzruf. Zu diesen Rufen gehören unter anderem: „Noch jemand Kaffee? Ich mach schnell welchen!“, „Popcorn? Noch jemand Popcorn?“ oder auch: „Mir ist kalt, brauch schnell eine Jacke!“. Besonders gefährlich ist in diesem Zusammenhang auch die Ergänzung: „Komme gleich wieder!“

Lebensraum

Der Brettflüchtling ist in unseren Breiten kein Neozoen. Im Gegenteil, er kommt überall dort vor, wo gespielt wird. Ausnahmslos! Also eigentlich ein multikultureller Typ. Man findet ihn in den Weiten der Catanischen Wüste ebenso häufig wie unter fallenden Himmeln oder in den Tiefen der Seen auf der Isle of Skye. (Ausnahme: Loch Ness, da bereits seit Generationen besetzt.) Kurz, der Brettflüchtling hat sich während der Evolution an seine Umgebung anzupassen gelernt.

Zu den lokalen Lebensräumen gehören zumindest temporär sanitäre Räume und Küchen. Gelegentlich auch in Reichweite von Fruchtgummi-Verstecken, Hopfensaft-Lager oder anderen, teils vergorenen Lagerstätten.

Lebensfeindliche Umgebungen

Die einzige lebensfeindliche Umgebung für den Brettflüchtling sind Live-Escape-Rooms. Hier kommt er nur zusammen mit seinen Mitspielern raus, außer er benützt den Panik-Button und wird befreit. Diese Situation kann jedoch an einem Kapplex oder Rathskellers logischer Weise nicht passieren und kann daher vernachlässigt werden.

Verhaltensreaktionen

Dass das Verhalten von Brettflüchtlingen nur sehr schwer vorauszusehen ist (siehe oben, Signale), ist dieser Bereich noch sehr wenig erforscht. Es fehlen Studien.

Gut dokumentiert hingegen ist das Verhalten bei Rückkehr. Diese Rückkehr geht meist einher mit Erleichterung und dem guten Gefühl der Mitspieler, vorerst keine weitere Brettflucht beobachten zu müssen. (Voraussetzung: „Bring Bier und Popcorn mit!!“) Es liegt also auch immer an den Mitspielern, die Fluchtsituation für sich vorteilhaft zu gestalten.

Extreme Vertreter

Besonders unbeliebt ist die Variante Ultima-Brettspielflüchtling. Dieser verlässt meist fluchtartig den Ort des Geschehens just dann, wenn die Mitspieler nach Beendigung eines Spiels sich gemeinsam an das Wiedereinlagern des Spielmaterials machen. Die Ausreden sind dann meist wie oben „Ich muss…“ und „Ich hol kurz….“. Vertreter dieser Unterart erfreuen sich auf Dauer eher weniger Beliebtheit und müssen unter Umständen mit lang anhaltender Isolation vom Spieltisch rechnen. Exil oder das Suchen einer neuen Herde sind dann die Folge.

Top 3 der bekanntesten Brettflüchtlinge

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(Liste bitte selbst ausfüllen)

Fazit

Ich hoffe, mit diesem Beitrag niemandem zu nahe zu treten. Er soll vielmehr ein kleines Lächeln in den ansonsten tristen Alltag zaubern. Und wenn ihr tatsächlich einmal mit einem Brettflüchtling am Tisch sitzt, lächelt, habt zusammen Spaß am Spiel und ruft ihm hinterher: „Bring Bier mit!“

In diesem Sinne …. Weiterspielen, du bist dran …. Warte, ich muss schnell …. Sorry! …. Bring Bier mit!!!

Danksagung

Für die hilfreiche, teils wissenschaftliche Unterstützung und Inspiration, möchte ich mich recht herzlich bedanken bei:

Jutta, Heike, Dagmar, Prof. Dr. Bernhard Klemens Maria Hofbauer Pius Grzimek, Bernd, Philip

Diese nicht ganz ernst gemeinte Vorstellung eines Spieler-Typus erscheint im Rahmen unserer Serie „Neues vom SpieltischRand“. Für weitere Folgen suchen wir immer Ideen.

Der Einfachheit halber, verwende ich die maskuline Schreibweise in meinen Texten. Wenn ich von „Spieler“ schreibe, meine ich natürlich immer auch „Spielerinnen“ bzw. „Spieler m/w/d“

In der Reihe „Neues vom SpieltischRand“ sind bereits erschienen

© Oliver Sack, 06.01.2021 – Titelbild Pixabay – Alle Rechte vorbehalten. – Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung.