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In unserer neuen Reihe „Neues vom SpieltischRand“, wollen wir über Dinge berichten, die uns gelegentlich bei öffentlichen Veranstaltungen auffallen. Aber auch Dinge, die wir dort selbst erlebt haben. Dabei steht jedoch nicht der pure Ernst im Vordergrund. Vielmehr sollen unsere Erlebnisse (unterhaltsam) analysiert werden. Vielleicht erkennt ihr dabei eine Situation, die ihr ebenfalls kennt, oder sogar genau so selbst erlebt habt. Oder ihr kennt sogar einen Passiv-Spieler …
Viel Spaß.
Der Passiv-Spieler (Ludio Passivum)
Spielt man Brett- und Gesellschaftsspiele auf einer öffentlichen Veranstaltung, sind interessierte Zuschauer ganz normal. Auch wir freuen uns immer, wenn wir interessierte Zuschauer haben. Denn verstecken wollen wir uns mit unserem Hobby nicht. Wir wollen vielmehr andere animieren, mitzuspielen. Manchmal klappt das auch ganz gut und wir haben neue, regelmäßige Mitspieler gewonnen. Manchmal aber wollen die Zuschauer auch nur zuschauen und/oder trauen sich nicht mitzuspielen. Das ist dann natürlich völlig in Ordnung, wir wollen ja niemanden zu etwas zwingen. Innerhalb dieser Gruppe Zuschauer gibt es aber einen ganz besonderen Typ. Und genau um diesen Typ „Zuschauer“ geht es heute. Gemeint ist der, wie wir ihn nennen, „Passiv-Spieler“.
Im Gegensatz zum gemeinen Zuschauer und Beobachter, erkennt man den Passiv-Spieler eindeutig an seinem Begrüßungs-Ruf. Mit „ich will nur zuschauen, nicht mitspielen“ oder „ich will nicht spielen, nur zuschauen“ signalisiert er:
„Achtung! ICH weiß Bescheid!“.
Der Passiv-Spieler steht oder sitzt dabei meist etwas Abseits vom eigentlichen Geschehen. Er beginnt, mit analytischem Blick, die Szenerie zu beobachten. Diese Lauerstellung mag harmlos aussehen, ist aber knallhartes Kalkül. In dem Moment in dem er glaubt, zuschlagen zu können, ertönt sein bei Aktiv-Spielern (Ludio Aktivio) gefürchteter Warnruf:
„O-Ohhh! Das würde ich jetzt nicht tun!“.
Spätestens jetzt kommt der Passiv-Spieler in Fahrt und ist voll in seinem Element. Denn alleine sein „O-Ohhh!“ war für ihn die Initialzündung.
Jetzt versucht er, das Spielgeschehen nach seinen Vorstellungen zu lenken. Ungeachtet etwaiger, seiner Meinung nach unbedeutender Regel-Details, übernimmt er die Rolle eines Personal-Trainers. Er lenkt erste Aktionen eines Spielers.
Gelingt es dem Opfer jetzt nicht innerhalb kürzester Zeit, sich aus den Fängen des Passiv-Spielers zu befreien, mutiert dieser langsam. Als Alpha-Spieler übernimmt er nun die Rollen aller Spieler am Tisch. Ab diesem Moment lenkt er das gesamte Spielgeschehen durch gezielte Interventionen. Wie ein Parasit, der seinen Wirt langsam übernimmt, erlangt er mehr und mehr die Kontrolle über Spiel und Spieler. Verbale Abwehrattacken wie „du wolltest doch nur zuschauen?“, prallen am robusten Ego wie von einer Granitplatte ab.
Die Spieler wurden zu Marionetten, hilflos ausgeliefert und ferngesteuert. Deck-Zombies, die sich ihrem Schicksal fügen müssen. Die Rolle des analysierenden Beobachters hat der Passiv-Spieler jetzt endgültig abgelegt. Die Metamorphose ist vollendet.
Wollen die Aktiv-Spieler jetzt die Kontrolle über das Spiel zurück, hilft nur noch bedingungslose Offensive. Entweder alle eigenen Spielzüge mit den Worten „gemäß der Prophezeiung“ zu kommentieren, was eher aussichtslos ist, oder den Angreifer mit seinen eigenen Waffen zu schlagen versuchen. „Stimmt, du hast recht. – Spiel doch für mich weiter.“ Unterstützen kann man diesen verbalen Gegenangriff noch durch das Offerieren des eigenen Sitzplatzes. Dazu auf jeden Fall auch aufstehen, um die Ernsthaftigkeit dieser Aufforderung deutlich zu unterstreichen.
In den meisten Fällen wird dies den Angreifer zum Opfer machen. Er wird in eine Defensive gedrängt und er wird sich selbst aus der für ihn jetzt doch unangenehmen Situation befreien wollen. Denn spielen will er ja nicht! Sollte diese letzte Abwehrtaktik auch nicht funktionieren, hilft wirklich nur noch durchhalten und versuchen, das Spiel schnell zu beenden. Notfalls durch überspringen von Runden und dem Auslassen von Wertungsunterbrechungen. Immer in der Hoffnung, das dieses Täuschungsmanöver nicht auffällt. Mehr Tipps können wir in dieser Situation leider nicht geben. Allen die einmal in diese Situation geraten, wünschen wir deshalb: viel Glück.
P.S.: Da wir Spieler eigentlich ein friedfertiges Völkchen sind, scheiden körperliche Gewalt und verbale Attacken unter der Gürtellinie aus. Wobei „Hau ab!“ und „verpiss dich!“ als extrem grenzwertig einzustufen sind, aber im Ausnahmefall zum Erfolg führen können.
Diese nicht ganz ernst gemeinte Vorstellung eines Spieler-Typus erscheint im Rahmen unserer neuen Serie „Neues vom Spieltischrand“. Für weitere Folgen suchen wir noch Ideen.
Schickt uns eine/eure Idee zum Thema. Wenn wir diese umsetzen, bekommt ihr einen Autoaufkleber „Alltag/Spielen“ von uns als kleines Dankeschön für den Input.
Mein besonderer Dank für die Unterstützung und den Input zu dieser Geschichte geht an:
Petra S., Jutta S., Gottfried D., Katharina S., Simone M., Bernd B. und last but not least Ester K.
In der Reihe „Neues vom SpieltischRand“ sind bereits erschienen:
#01 Der „Passiv-Spieler“
#02 Der „Denker“
#03 Das „Opfer“
#04 Der „Regel-Erklärer“
#05 Der Würfel
© Oliver Sack, 2017 – Alle Rechte vorbehalten. – Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung.